Am 04.11.2010 referierte Herr Dr. Sebastian Poschadel vom Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund (IfADo) zum Thema:
„Sind Fahrtrainings für ältere Autofahrer über 70 sinnvoll? Erste Ergebnisse einer Kontrollgruppenstudie.“
Der Referent wies zunächst auf die künftig zunehmende Bedeutung des Themas Teilnahme älterer Menschen als Fahrer am motorisierten Straßenverkehr hin: Bis zum Jahr 2050 wird sich sowohl der Anteil älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung wie auch der Führerschein- und Pkw–Besitz dieser Altersgruppe deutlich erhöhen. Während bei Männern bereits heute eine Führerscheinbesitzquote von annähernd 100% besteht, wird dieser Wert bis 2050 vsl. auch von den Frauen erreicht. Das Hineinwachsen dieser autoorientierten Generation in das Seniorenalter führt auch in dieser Altersgruppe zu einer Mobilitätszunahme, wobei die Zunahme der Wege nach dem derzeitigen Wissenstand in den nächsten Jahren vor allem auf den Pkw entfallen wird.
Entgegen häufig vorgebrachten Vorurteilen sind jedoch die Senioren in der Gesamtbetrachtung der Zahl aller Verkehrsunfälle mit Pkw nur unterdurchschnittlich beteiligt. Zwar tragen sie mit 75% häufiger die Hauptschuld als andere Altersgruppen, in der Gesamtsumme spielen jedoch die Pkw-Unfälle mit Beteiligung von Senioren im Vergleich zu allen anderen betrachteten Altersgruppen eher eine untergeordnete Rolle. Dennoch ereignen sich diese Unfälle zumeist in bestimmten komplexen Fahrsituationen, wie beim Linksabbiegen, Wenden, Rückwärtsfahren, Ein- und Ausfahren aus Grundstücken sowie allgemein beim Beachten der Vorfahrt. In diesen Situationen machen sich die mit zunehmendem Lebensalter eintretenden spezifischen Veränderungen sensorischer, kognitiver und motorischer Funktionen bemerkbar.
Es ist seit längerem bekannt, dass gezieltes Training dieser kognitiven Funktionen im Alltagsleben die Leistung älterer Menschen verbessern kann.
Abweichend von den hier bislang üblichen Labortrainings wurde jedoch in dem Forschungsvorhaben des IfADo untersucht, ob durch ein Training (15 Stunden) schwieriger und komplexer Fahraufgaben im Realverkehr die Fahrkompetenz älterer Kraftfahrer (70 Jahre und älter) grundsätzlich erhöht werden kann und ob diese Trainingseffekte auch ein Jahr nach dem Training noch messbar sind.
Die Untersuchung erfolgte mit Hilfe eines Kontrollgruppendesigns: Es wurden 2 Gruppen zu je 46 älteren Fahrerinnen und Fahrern im Alter von etwa 73 Jahren zusammengestellt, wobei jedem / jeder Teilnehmer(in) ein nach Alter, Geschlecht und Fahrleistung gleicher „Zwillingspartner“ in der Vergleichsgruppe gegenübergestellt wurde. Darüber hinaus wurde eine Kontrollgruppe aus 28 Fahrern mittleren Alters (44 J.) gebildet. Die Fahrstrecke wurde im Stadtgebiet von Dortmund mit einer Fahrtdauer von 50 Min. festgelegt. Sie enthielt 10 ‑ aus polizeilichen Unfalldaten ermittelte ‑ Unfallschwerpunkte älterer Fahrer; zudem waren weitere schwierige Fahrsituationen entsprechend den mutmaßlichen Defiziten zu bewältigen.
Zur Begleitung und Auswertung aller Fahrten standen 2 Fahrlehrer bereit. Unabhängig von diesen haben weitere 4 Fahrlehrer die individuelle Schulung der Trainingsteilnehmer durchgeführt. Im Training wurden besonders die Fahrmanöver „Spurwechsel“, Linksabbiegen mit Gegenverkehr“ und „Navigieren in großen, komplexen Kreuzungen“ trainiert. Bei jedem Teilnehmer wurde das Training individuell vom jeweiligen Fahrlehrer abgestimmt.,.
Zu jeder Testfahrt (4 insgesamt) wurde ein TRIP – Protokoll (=Test ride for investigating practical fitness to drive) erstellt, wobei darauf zu achten war, dass beide Fahrlehrer gleiche Beurteilungsmaßstäbe anlegten (Interrater–Reliability). Zudem mussten die bewerteten Einzelkriterien insgesamt den Schluss auf das Gesamturteil zulassen (interne Konsistenz).
Im Ergebnis erwiesen sich beide Senioren–Gruppen vor dem Training als etwa gleich leistungsfähig, nach dem Training hatte die Leistung der Trainingsgruppe deutlich zugenommen, auch die Vergleichsgruppe zeigte sich - vermutlich aufgrund der von den Fahrlehrern gegebenen punktuellen Tipps - verbessert.
Drei Monate nach dem Training hatten die Leistungen beider Gruppen zwar leicht abgenommen, waren aber weiterhin gegenüber dem Leistungsstand vor dem Training deutlich verbessert. Auch nach einem Jahr war eine deutliche verbesserte Leistung erhalten geblieben, so dass im Ergebnis die Nützlichkeit eines Trainings für die Verbesserung der Fahrfähigkeit älterer Kraftfahrer uneingeschränkt bejaht werden kann. Beide Gruppen haben das Leistungsniveau der Vergleichsgruppe (40 - 50 Jahre) erreicht, was besonders erfreulich ist. Trainingsmethodisch bliebe noch zu untersuchen, ob alternativ zu dem hier durchgeführten Intensivtraining eine Schulung in geringerem Umfang, dafür aber mit häufigeren Wiederholungen evtl. zu noch besseren Ergebnissen führt.
Allerdings schränkte Herr Dr. Poschadel die Aussagefähigkeit des Ergebnisses insoweit ein, als dass sich offenbar im wesentlichen gute und verbesserungswillige Fahrerinnen und Fahrer zu dem Vorhaben gemeldet hatten. Die eigentlich schulungsbedürftige Klientel hätte man für die Versuche eher nicht erreicht
In der anschließenden Diskussion plädierte der Referent dafür, älteren Menschen, so lange es geht die Möglichkeit zum Autofahren zu belassen, damit sie weiterhin möglichst uneingeschränkt am sozialen Leben teilnehmen und auch lange selbständig leben können (besonders in Gebieten, in denen der öffentliche Verkehr nur eingeschränkt verfügbar ist). Nicht alle Senioren wollen, um auf das Kfz verzichten zu können, wieder in die Innenstädte ziehen. Die weitere Entwicklung der Fahrerassistenzsysteme bis hin zum vollautomatischen Fahren dürfte hier künftig zusätzliche Perspektiven eröffnen. Andererseits besteht EU-weit eine Tendenz zur Verschärfung des Fahrerlaubnisrechts mit dem Ziel, Fahrerlaubnisse nur noch befristet zu erteilen. Schließlich wünscht Herr Dr. Poschadel eine stärkere Berücksichtigung von Belangen älterer Fahrer in straßenbaulichen Regelwerken, wobei eine zügige Umsetzung sicherlich auch eine Frage des Geldes ist.